Ausflug nach Dystopia #4

Ungeahnte Aufstiegsmöglichkeiten für Reisbauern, mitteilsame Tiere im Gefolge subversiver Gärtner und eine ernste Warnung vor Engeln.

[... Der Jagamasch überragte sie um das Doppelte. Ein breitschultriger Riese in einer Rüstung aus scharfkantigen, dornbewehrten Platten. Der Kopf war der Zerrspiegel eines Samuraihelms.

 

Kleinste Details drängten sich ihr mit nie zuvor erlebter Klarheit auf.

Beulen, die von Kämpfen mit anderen Jagamasch herrühren mochten. Nieten und Schweißnähte, die sich unregelmäßig über den bronzebraunen und kupferroten Torso zogen wie Operationsnarben. Die Patina aus Rost, abblätterndem Lack und Flechten. Einige der Platten schimmerten dagegen wie poliert, als wären sie erst vor kurzem ausgetauscht worden.

 

Der Jagamasch erschien Meiying wie ein Relikt aus einer Vergangenheit, in der Maschinen nach Schmierfett stanken und unter Druck stehende Flüssigkeiten durch ihre Eingeweide pumpten. Er ist unglaublich alt! Vielleicht ist er einer der ersten. Ein künstlicher Soldat, in die Schlacht geschickt, als der Menschheit die Soldaten ausgingen. ...]

 

Ohne die Hilfe der engelsgleichen "Aufgestiegenen" hätten die Jagamasch das Refugium der letzten Menschen längst überrannt. Wie durch ein Wunder überlebt die sechzehnjährige Meiying eine Begegnung mit einer der unbesiegbaren Kriegsmaschinen.

Das hat weitreichende Folgen: Die Aufgestiegenen bieten ihr an, eine von ihnen zu werden. Doch als sie der Einladung folgt, findet sie sich als Gefangene in einer Schule tief unter der Erde wieder. Was sie dort erfährt, stellt ihr bisheriges Leben infrage - und weckt ihren Widerstand. Eines Tages warnt ein Unbekannter sie davor, den Zorn der Aufgestiegenen auf sich zu ziehen.

Auf der Suche nach Meiying gelangt ihre Schwester Biyu als blinder Passagier in eine von Menschen bewohnte Stadt. Doch sie ist dort nicht erwünscht und wird genadenlos gejagt. In dem Gärtner Shan findet sie einen Verbündeten - und kommt hinter das Geheimnis der Jagamasch.

 

So könnte der Klappentext für meine kürzlich fertiggestellte Novelle "Jagamasch!" klingen, die Geschichte zweier Schwestern, deren Weg von den Reisfeldern einer ländlichen Enklave in den Dunstkreis der Herrscher des Planeten führt. Mit drei Handlungsebenen, erzählt aus der Perspektive von vier verschiedenen Protagonisten, hätte sie das Zeug zum Roman gehabt. Viele Erklärungen und Beschreibungen musste ich aus Platz- und Zeitgründen außen vor lassen. Dass ich trotzdem die maximale Zeichenanzahl überreizt habe und im letzten Arbeitsgang kürzen musste, ist auch nichts Neues für mich.

 

Aber ich bin zufrieden mit dem Ergebnis. Ich wollte Spannung, Geheimnisse und unvorhergesehene Wendungen, und von allem gibt es reichlich. Phasenweise fieberte ich beim Schreiben mit meinen Heldinnen, wie ich es sonst nur in der Rolle des Lesers erlebe. Was sicher auch daran lag, dass ich mir erlaubt habe, vom Plot abzuweichen, wenn mir eine spontane Idee glaubwürdiger erschien und mehr Potenzial barg. Ein Flug auf Sicht, bei dem ich manchmal nicht wusste, was hinter der nächsten Wolke lauert (es war glücklicherweise kein Berg).

So wird eine Geschichte für mich erst richtig erlebbar.

 

Auch wenn Meiying und Biyu die Heldinnen der Geschichte sind, habe ich an dem Gärtner Shan einen besonderen Narren gefressen. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst Gärtner bin ...

Shan ist unangepasst und kritisch. Das macht ihn zu einem Außenseiter und für die Polizei sogar zu einem Subversiven. Seine einzige Gesellschaft sind ein sprechender Dachs und weitere Robottiere. Seine Beziehung zu Biyu zu entwickeln hat mir besonders viel Spaß gemacht. Schade, dass auf den 120 Normseiten auch noch andere Dinge geschehen mussten.

 

Übrigens sind die Jagamasch nicht gänzlich auf meinem Mist gewachsen. Ihre Vorbilder, die Manshonyagger, marschierten bereits 1957 durch Cordwainer Smiths Story "Mark Elf", die 1984 in der Anthologie "Die Instrumentalität der Menschheit" bei Moewig wiederaufgelegt wurde. Und auch Smith selbst hat einen heimlichen Gastauftritt in "Jagamasch!".

 

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