Brief vom Festland

Lieber besorgter Bürger!

 

Du bist kein Nazi. Das möchtest du klargestellt wissen. Schließlich hast du noch nie ein Hakenkreuz an irgendeine Wand gekritzelt oder den Hitlergruß gezeigt.

Du hast auch gar nichts gegen Ausländer. Und erst recht nichts gegen Flüchtlinge. Großer Gott, die armen Leute! Dass die nicht bleiben können in ihren ausgebombten Städten, ohne Essen, ohne Strom, ohne medizinische Versorgung, das ist doch ganz klar.

 

Nein, du bist einfach nur besorgt. So wie viele andere auch. So wie eigentlich alle anderen. Du bist nicht alleine. Du bist das Volk.

Besorgnis ist ein unbequemes Gefühl. Es stört das Empfinden von Sicherheit. Es stört die Illusion, weit weg zu sein vom Elend im Rest der Welt. Das macht dich wütend.

Wut ist viel ansteckender als Besorgnis. Wut kann man wunderbar mit anderen teilen. Dann vermittelt sie ein wohliges Gemeinschaftsgefühl. Wenn viele Menschen am selben Ort auf dieselbe Sache wütend sind, müssen sie ja wohl recht haben. Vor allem, wenn du dabei Leuten zuhören kannst, die genau wissen, wer Schuld daran ist, dass du besorgt und wütend bist. So sollte Demokratie funktionieren, denkst du.

 

Aber mit Nazis gleichgesetzt zu werden, das geht dir gegen den Strich. Lieber besorgter Bürger, ich habe eine gute Nachricht für dich: Ich halte dich nicht für einen Nazi.

Ich halte dich einfach nur für entsetzlich bequem und egoistisch. Zu bequem, deinen Horizont zu erweitern oder deine Meinung zu überdenken. So egoistisch, dass du niemanden, den du nicht kennst, auch nur einen Bruchteil dessen gönnst, was du hast.

Klar, was hast du auch schon groß. Bei dir wäre weniger nichts. Der Witz ist:  Niemand wird je von dir verlangen, mehr abzugeben als ein bisschen Platz auf dem Bürgersteig, wenn dir ein Flüchtling entgegenkommt. Aber was du einmal glaubst, sitzt in deinem Kopf wie eine eingerostete Schraube. Schade.

 

Aber bitte, bitte, verlange niemals von mir, dass ich Verständnis für dich aufbringe. Ich hab das eine Weile lang versucht, ehrlich. Ich kann mich ganz gut in andere Menschen hineinversetzen. In dich nicht.

Tu was Gutes, distanzier dich von den Pöblern und Schreihälsen, dann sehen wir weiter. Doch bis dahin: Bleib auf deiner Besorgnis-Insel. Du und dein Volk. Ich bleibe auf dem Festland.

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